Der alte Kamerad

Der alte Kamerad

Über Demokratie, Kritik, Respekt und Mut

 

Es war im Jahre 1988. Ich war noch Schüler, aber am Ende meiner Schullaufbahn angekommen. Überall auf der Welt gedachte man des Jahres 1938, das Jahr der Machtergreifung der Nazis. Überall, in Zeitungen, Buchläden, im Fernsehen und Radio war dieser Umsturz durch diese Leute, die die Demokratie nicht respektieren und ein totalitäres Regime errichten wollten ein Thema. Überall ein überzeugtes „Nie mehr wieder“. Ein „Gedenkt der Folgen“. Ein „Wehret den Anfängen“.

 

Und so kam es, dass auch an meiner Schule eine Gedenkveranstaltung abgehalten wurde. Nun muss man wissen, dass meine Schule bis 1945 eine Nazi-Eliteschule war, die gründlich entnazifiziert wurde, so gründlich, dass bis jedenfalls in meine Zeit ein rotes Parteibuch unumgänglich war, um zur Lehrerschaft zu zählen. Wohingegen nun die Lehrer (und dafür bin ich ihnen heute noch dankbar) bis hin zum Kustos das als bloße Formalität betrachteten und uns zum kritisch Denken aufforderten, war der Direktor ein großer Ideologe, ganz beseelt von seiner Mission. Der sich vor allem sehr gern reden hörte bei allen möglichen Anlässen, egal ob passend oder unpassend.

 

Also ließ er es sich nicht nehmen, auch bei dieser Gedenkveranstaltung auf der Bühne Platz zu nehmen. Anders als sonst war er aber nicht allein, sondern es war ein mir nicht bekannter, freundlicher älterer Herr mit ihm auf der Bühne. Die im zum Veranstaltungsort umfunktionierten Turnsaal anwesenden Lehrer und Schüler jeden Alters lauschten gehorsam.

 

Der Direktor stellte den Herrn als politisch aktiven Herrn vor, der sich schon immer gegen das Nazi-Regime gewandt hätte. Nein, als Widerstandskämpfer würde er sich nicht bezeichnen, eben als aktiver Gegner. Und dann teilte der Direktor mit, dass er jetzt eine Podiumsdiskussion führen wolle mit ihm und dem Herrn als Diskutanten.

 

Es entspann sich nur keine Diskussion. Es war ein nettes Gespräch zweier älterer Herren, die sich in allem glänzend verstanden und die ihren gemeinsamen Werdegang beim Aufbau des Sozialismus in Österreich bejubelten. Nicht ohne die Vorzüge dieser ihrer Weltanschauung aufzuzeigen.

 

Tatsächlich und zur Überraschung aller wurden dann tatsächlich Fragen aus dem Publikum zugelassen. Zuerst waren sie noch zögerlich, dann aber lieferte einer der Schüler dem Podium eine Auflage. Indem er nach der Position des Direktors zum aktuellen Bundespräsidenten fragte. Dies war zu dieser Zeit Kurt Waldheim, dem eine angebliche Nazivergangenheit vorgeworfen wurde.

 

Beide Herren am Podium äußerten sich recht kritisch und der dann gar nicht mehr so freundlich anmutende Freund des Direktors schloss mit den Worten, dass er „zu dieser Figur jetzt gar nichts mehr sagen wolle“ wobei er das Wort „Figur“ eigentümlich betonte.

 

Da konnte ich mich nicht mehr halten. Meine Hand ging nach oben und ich hatte bald das Mikrofon in der Hand und stand auf. Der Zorn ließ mich jede Vorsicht vergessen.

 

Ich hatte von meinen Lehrern und Lehrerinnen Folgendes gelernt: Kritisch zu denken, Kritik zwar auch laut, aber sachlich zu üben und die Demokratie wertzuschätzen. Und was da gerade geschah,  widersprach all dem. Welcher politischen Richtung die beiden am Podium angehörten war mir völlig egal, genausogut hätten sie Tracht tragen können. Oder Juteklamotten.

 

Daher ließ ich meinem Zorn vollen Lauf. Und sprach mich mit Nachdruck dagegen aus, dass hier der Direktor mit einem alten Kameraden politisch einseitige Dinge verbreiten würde, die gerade von den anwesenden jüngeren Schülern unreflektiert als objektive Wahrheit übernommen würden. Vor allem aber, dass er und sein Genosse unseren gewählten Bundespräsidenten, gleich aus welchen Gründen, öffentlich, unsachlich und auf unangemessene Weise  herabsetzen würden.

 

Als ich ausgesprochen hatte, war es still, sehr still. Und mir war bewusst, dass ich möglicherweise nicht mehr lange an dieser Schule bleiben würde.

 

Bis ich auf einmal ein Klatschen hörte. Leise aber bestimmt. Als ich mich umdrehte sah ich, wie die alte Handarbeitslehrerin, die sonst immer leise und zurückhaltend war, aufgestanden war und applaudierte. Kurz danach folgten andere aus dem Lehrkörper. Dann der Kustos. Als die Schüler das sahen, standen sie auch auf, immer und immer mehr. Bis der ganze Saal stand und applaudierte.

 

Der Direktor versuchte, wieder die Oberhand zu gewinnen, aber jeder Versuch von ihm, das Wort zu erheben, wurde mit noch lauterem Applaus und Bravo-Rufen bedacht. Nach ein paar Minuten erkannten die beiden Herren auf der Bühne, dass die Sache nicht mehr zu gewinnen war und verließen, immer noch unter tosendem Applaus – aber nicht so wie der Direktor sich das gewünscht hätte – den Saal.

 

Mein Kleinkrieg mit dem Direktor, der seinen Höhepunkt bei der Matura fand, wo er nochmals eine empfindliche Niederlage erlitt, weil der sehr anständige Vorsitzende vom Lehrerkollegium auf die Situation vorbereitet worden war, ist Legende. Aber das ist eine andere Geschichte.

 

Was von den Ereignissen aus dem Frühjahr 1988 geblieben ist, ist die Erinnerung daran, dass die Demokratie von allen Seiten angegriffen wird, nicht immer nur von dort, von wo man es erwartet und auf eine Weise wie man sie erwartet. Kritik auch an gewählten Politikern steht ja auch jedem zu, und Politiker haben auch einiges auszuhalten. Aber es gibt Grenzen. Wo Kritik unsachlich wird und auch nicht mehr durch Satire rechtfertigbar ist. Und dort, wo Autorität benützt wird nicht um zu überzeugen, sondern zu diskreditieren. Das schadet nämlich der Kultur und dem Ansehen der Demokratie. Und damit ihr selbst.

 

Es gibt aber auch immer die, die für die Demokratie und ihre Werte aufstehen. Und oft auch die, von denen man es nicht erwartet. Und das gibt Mut.

 

Telefonsex

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Zur öffentlichen Kritik an Institutionen

 

Das erste Urteil, das ich vor dem Obersten Gerichtshof erstritten habe (noch als Konzipient), entstammte einem Rechtsstreit zwischen einem Telekom-Provider, den ich vertreten habe und einer Krankenschwester, deren damaliger Noch-Lebensgefährte von ihrem Anschluss „Mehrwertdienste“ (also Leistungen von Sexhotlines, daran erkennt man, wie lang das schon her ist) in relativ atemberaubender Höhe beansprucht hatte. 

 

Die Krankenschwester versuchte die Entscheidung zu bekämpfen und wehrte sich mit ihrem durchaus einfallsreichen Vertreter durch drei Instanzen. Die ersten beiden gaben dem Telekom-Provider recht, einfach aufgrund dessen, dass die Krankenschwester im Rahmen ihrer Vereinbarung mit meinem Klienten unterschrieben hatte, dass sie alle Entgelte, die von ihrem Anschluss verursacht würden, bezahlen würde. 

 

Der Oberste Gerichtshof kam aber zu einem anderen – und beide Parteienvertreter etwas überraschenden – Ergebnis: Die Krankenschwester hatte an meinen Klienten nur das – vergleichsweise lächerliche – Verbindungsentgelt zu zahlen, nicht aber die Mehrwertdienste, wegen dieser wäre ein Vertrag zwischen Mehrwertdienstleiter und Exfreund zustande gekommen. Mein Klient, der den Mehrwertdienstleister schon bezahlt hatte, könnte sich das Entgelt ja vom (allerdings extrem finanzschwachen) Exfreund holen. 

 

Das Urteil im konkreten Fall war meinem Klienten noch relativ gleichgültig. Aber es hatte erhebliche Auswirkungen im Hinblick auf viele andere Anschlussinhaber, bei denen die Sorge bestand, sie könnten auf Basis dieser Entscheidung jetzt alle behaupten, nicht sie, sondern irgend jemand anderer habe auf Teufel komm raus Schäferstündchen am Telefon gehabt. 

 

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs entsprach weder meiner Rechtsmeinung noch der des Gegenvertreters. Und sie war keineswegs logisch zwingend die einzig denkbare. Aber sie war recht weise: Die Krankenschwester, deren Vertrauen von ihrem Exfreund ausgenutzt worden war, wurde in Schutz genommen, der Exfreund in die Pflicht genommen. Und dass mein Klient am Ende den Schaden hatte, war einfach nur Pech, weil er die Mehrwertdienstleistung dem Drittanbieter schon bezahlt hatte und der Exfreund „flach“ war. 

 

Niemand stellte damals aber die Entscheidung in Frage. Jedem der Beteiligten war klar, dass der Oberste Gerichtshof endgültig entschieden hatte, wie die Rechtslage im konkreten Fall ist. Und es ist letztlich auch das Ergebnis in einem Rechtsstaat, dass bestimmte Gerichte und Behörden endgültig, unanfechtbar und für alle bindend entscheiden, wie die Rechtslage ist. Und damit ist jede davon abweichende Rechtsmeinung – jedenfalls bezogen auf den der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt – schlicht falsch. 

 

Damit erledigt sich an sich jede Diskussion über die Richtigkeit von rechtswirksamen Entscheidungen von Gerichten oder Behörden. Der Zug ist abgefahren. Wenn einem das Ergebnis nicht passt, dann muss man entweder trotzdem damit leben oder – für  die Zukunft – dafür sorgen, dass sich die Entscheidungsgrundlagen (vor allem das gesatzte Recht) auf demokratische Weise ändert. Und ist eine Entscheidung nicht rechtskräftig, gibt es dagegen Rechtsmittelverfahren, wo die Kritik am Handeln von Behörden hingehört. 

 

Ja, sicher ist es in Ordnung, wenn – wie es immer wieder geschieht – Fachleute sachliche Kritik an der rechtlichen Begründung von Urteilen üben, mit dem Ziel, die künftige Rechtsprechung zu beeinflussen. Aber Fachleute würden weder die Rechtskraft des kritisierten Urteils noch die Autorität des Gerichts selbst in Frage stellen, weil sie damit eine Grundlage ihres Fachwissens – nämlich die Verbindlichkeit von Urteilen – selbst in Frage stellen würden. 

 

Was ich nun schon wenig zu schätzen weiß, sind mediale Kritiken an Urteilen von Personen, die nicht am Verfahren beteiligt waren oder gar überhaupt nicht erfassen, worum es im konkreten Verfahren ging. Weil man damit als Journalist damit eine tolle „Gschicht“ hat. Oder als „Influencer“ einen Haufen Klicks. Aber gut, dies mag ja noch im Rahmen der Meinungsfreiheit auszuhalten sein. 

 

Was aber gar nicht geht, ist, wenn die Politik die Autorität der Gerichte und Staatsanwaltschaften, vor allem der Höchstgerichte, zu untergraben sucht. 

 

Dadurch, dass Gesetze und Verordnungen einfach einmal erlassen werden, ohne die Verfassung zu respektieren. Und man sich damit als „Macher“ profilieren kann, der laufend nur vom Verfassungsgerichtshof als  „Verhinderer“ gebremst wird. 

 

Oder dadurch, dass öffentlich Kritik an Institutionen geübt wird. Und diese Kritik sich nicht in rechtsstaatlichen Verfahren (ja, dazu gibt es unter anderem das Disziplinar- und Strafrecht oder Rechtsmittel), wo sie hingehört, niederschlägt. Sondern (nur) in medialer Kritik an Institutionen, die als parteiisch, befangen oder inkompetent dargestellt werden. Und damit ihre Autorität untergraben wird.

 

Politiker (wie auch andere Opinion Leader) sind dazu angehalten, staatliche Institutionen als solche uneingeschränkt zu respektieren und ihre Rechtshandlungen mit den dafür vorgesehenen rechtlichen Mitteln zu bekämpfen (und darüber – aber dann vollständig – auch gern zu berichten) statt sie einfach nur medial zu kommentieren, sonst untergraben sie den Rechtsstaat. 

 

Damit nehmen sie nämlich auch die in Zeiten wie diesen die dringend nötige Sicherheit, die ein funktionierender Rechtsstaat gibt.

 

In einem Bereich darf und muss die Politik aber an Institutionen Kritik üben: und zwar dann, wenn diese rechtlich nicht ausreichend ausgestattet sind, um ihre Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen. Diese Kritik richtet sich aber letztlich wieder an die Politik als Gesetzgeber – und damit an sich selbst. 

 

(Der Artikel gibt die persönliche Meinung des Autors wieder)

 

 

Recht praktisch: Firmenwagen im Lockdown

Was tun, wenn der Firmenwagen aufgrund von Homeoffice nicht wirklich genutzt wird?

Ein Firmenwagen zur Privatnutzung ist für Arbeitnehmer etwas Angenehmes. Oder wie es der Jurist ausdrücken würde: Die gestattete Privatnutzung eines Firmenwagens stellt einen geldwerten Vorteil aus dem Arbeitsverhältnis dar. Dementsprechend ist dieser Sachbezug auch bei der Berechnung von Lohnsteuer und Sozialversicherungsabgaben zu berücksichtigen. So weit, so fair. Wenn nun aber aufgrund von Homeoffice und Lockdown der schöne Firmenwagen meist nutzlos in der Gegend herumsteht, wird er unverändert als Sachbezug berücksichtigt. Nicht mehr ganz so fair.

Da bisher keine spezifischen Regelungen für die derzeitige Lage eingeführt wurden und diese Thematik, soweit ersichtlich, eher nicht ganz oben auf der Agenda der Regierenden steht, sehen wir uns die Möglichkeiten der abgabenrechtlichen Optimierung anhand der geltenden Rechtslage an: Die Höhe des Sachbezuges bemisst sich einerseits nach dem CO2-Emissionswert des Firmenwagens. So beträgt sie grundsätzlich 2 % der tatsächlichen Anschaffungskosten des Fahrzeuges, maximal aber 960 Euro pro Monat. Im Falle eines Autos mit niedrigem CO2-Wert sind es 1,5 % und maximal 720 Euro pro Monat.v

Halber Sachbezugswert

Andererseits bemisst sich der Sachbezug nach dem Ausmaß der Privatnutzung. Wird der Wagen im Jahresdurchschnitt nachweislich nicht mehr als 500 Kilometer pro Monat für private Zwecke genutzt, ist der halbe Sachbezugswert, somit entweder 1 % oder 0,75 % der tatsächlichen Anschaffungskosten pro Monat, anzusetzen. Bei sehr geringer privater Nutzung kann der Sachbezug mit 0,67 bzw. 0,50 Euro pro gefahrenem Kilometer angesetzt werden, wenn diese Berechnung dazu führt, dass der Sachbezug geringer als die Hälfte des halben Sachbezuges zu bewerten ist. Ansonsten bleibt es bei der Heranziehung des halben Sachbezugswerts. Auf Basis der dargestellten Regelungen wäre eine Reduktion des Sachbezuges im Falle einer geringeren Privatnutzung somit möglich. Die größte Hürde wird allerdings die Nachweisbarkeit der geringen Nutzung durch ein lückenlos geführtes Fahrtenbuch sein.

Alternativ kann die (zwischenzeitige) Rückgabe des Firmenwagens an den Arbeitgeber Sinn machen. Hier empfehlen wir, das Fahrzeug zum Monatsende hin (inkl. Übergabeprotokoll) zu retournieren, da der Sachbezug sonst noch für das gesamte Folgemonat anfällt.

 

Der Autor: Dominik Leiter ist Rechtsanwalt und Partner bei Weisenheimer Legal in Wien

Den Originaltext finden Sie hier.