Haben Passagiere das Recht auf die kostenlose Mitnahme von Handgepäck?
Derzeit gehen Verbraucherschutzorganisationen in einigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gegen die Gepäcksbestimmungen von Airlines vor. Damit soll jedem Fluggast die kostenlose Mitnahme von Handgepäck, unabhängig von der gebuchten Ticketkategorie, garantiert werden.
Der vorliegende Artikel soll einen Überblick über die relevanten Rechtsgrundlagen bieten und der Frage nachgehen, ob die Argumentation der Verbraucherschutzorganisationen nachvollziehbar ist.
Die Ausgangslage
Derzeit bieten einige Airlines, vor allem die sogenannten „Billigairlines“, regelmäßig drei verschiedene Ticketkategorien an, die im Zusammenhang mit Reisegepäck Folgendes vorsehen:
- Billigste Kategorie: nur ein „persönlicher Gegenstand“ darf mitgenommen werden. Hierunter wird eine Tasche oder ein Rucksack verstanden, der unter den Vordersitz passt und oft die folgenden Maße nicht überschreiten darf: 40x30x20.
- Mittlere Kategorie: ein persönlicher Gegenstand und ein Handgepäckstück dürfen mitgenommen werden. Unter „Handgepäck“ wird ein Koffer oder eine Tasche verstanden, die in das Gepäckfach über dem Sitz passt und oft die folgenden Maße nicht überschreiten darf: 55x40x20.
- Teuerste Kategorie: ein persönlicher Gegenstand und ein Aufgabegepäckstück dürfen mitgenommen werden. Unter „Aufgabegepäck“ wird ein Gepäckstück verstanden, das im Frachtraum des Flugzeuges verstaut wird und oft die folgenden Maße nicht überschreiten darf: 80x120x120.
Verbraucherschutzorganisationen versuchen nun durchzusetzen, dass jeder Passagier ein Handgepäckstück ohne Zahlung eines Aufpreises mitnehmen darf. Sie stützen sich in ihrer Argumentation insbesondere auf die Artikel 22 und 23 der Verordnung (EG) 1008/2008 („VO 1008/2008“) und ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahr 2014 (Rechtssache C-487/12).
Was besagt die VO 1008/2008?
Diese Verordnung regelt generell die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der EU, also etwa die erforderlichen Betriebsgenehmigungen und den Zugang zu Strecken. Diese Verordnung enthält allerdings auch Regelungen im Zusammenhang mit der Festsetzung von Ticketpreisen – und um genau diese Preisfestsetzung geht es in den nun relevanten Artikeln 22 und 23.
Artikel 22 der VO 1008/2008 enthält die grundlegende Bestimmung, dass Luftfahrtunternehmen ihre Flugpreise und Frachtraten frei festlegen dürfen. Dies erscheint heutzutage selbstverständlich, bis zur Liberalisierung des Luftverkehrs in der EU ab den 1980er Jahren wurden Preise allerdings streng reguliert und mussten staatlich genehmigt werden. Erst die Liberalisierung und damit die Möglichkeit der Airlines, ihre Preispolitik frei zu gestalten, ermöglichte einen zunehmenden Wettbewerb und damit eine Reduktion der Ticketpreise. Erst dadurch wurden Flugreisen auch für Durchschnittsverbraucher leistbar.
Artikel 23 der VO 1008/2008 legt als eine Art Gegengewicht zu dieser Preisfreiheit fest, dass die Endpreise für Flugdienste stets klar auszuweisen sind. Dabei müssen die Endpreise den Flugpreis sowie alle anwendbaren Steuern und Gebühren, Zuschläge und Entgelte, die unvermeidbar und vorhersehbar sind, einschließen. Nicht im Endpreis enthaltene Kosten werden als „fakultative Zusatzkosten“ bezeichnet und müssen auf klare, transparente und eindeutige Art und Weise am Beginn jedes Buchungsvorgangs mitgeteilt werden. Weiters muss deren Annahme durch den Kunden auf Opt-in-Basis erfolgen.
Inwiefern kann die VO 1008/2008 als Grundlage für die Forderungen der Verbraucherschutzorganisationen herangezogen werden?
Die Verbraucherschutzorganisationen berufen sich nun auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahr 2014 (Rechtssache C-487/12).
Im diesbezüglichen Ausgangsverfahren hat eine Passagierin diverse Flugtickets zu einem günstigen Preis bei einer spanischen Airline erworben, musste für die Mitnahme von Aufgabegepäck allerdings eine Gebühr von EUR 10,- pro Koffer und Flug zahlen. Hierin erblickte die Passagierin einen Verstoß gegen ein spanisches Gesetz, das Airlines vorschrieb, Aufgabegepäck in einem bestimmten Ausmaß zu befördern.
Aufgrund der behaupteten Verletzung dieses Gesetzes wurde die Airline von einer spanischen Behörde zu einer Geldstrafe verurteilt, gegen die die Airline wiederum gerichtlich vorging. Die Airline argumentierte, dass das spanische Gesetz gegen europäisches Recht verstoße, da es das der Airline durch Artikel 22 der VO 1008/2008 gewährte Recht zur freien Preisfestsetzung verletze.
Die Frage der Vereinbarkeit des spanischen Gesetzes mit Artikel 22 der VO 1008/2008 wurde im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens schließlich dem EuGH vorgelegt.
In diesem Verfahren herrschte zunächst Unklarheit über die genaue Auslegung des spanischen Gesetzes. Nach der Auslegung des vorlegenden spanischen Gerichts hat die Beförderung von Aufgabegepäck nämlich ohne Aufpreis stattzufinden, während nach der Stellungnahme der spanischen Regierung im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens diese Beförderung zwar zwingend stattzufinden hat, aber nicht unbedingt kostenlos ermöglicht werden muss. Der EuGH entschied sich auf Basis seiner bisherigen Rechtsprechung dazu, bei seiner Beurteilung der Rechtslage von der Auslegung des vorlegenden spanischen Gerichts auszugehen.
Wie entschied der EuGH in der Rechtssache C-487/12?
Im Rahmen dieses Verfahrens setzte sich der EuGH zur Klärung der Frage, ob die den Airlines zustehende Preisfreiheit auch die Freiheit umfasst, für die Mitnahme von Aufgabegepäck einen Zuschlag verlangen zu dürfen, näher mit den Artikeln 22 und 23 der VO 1008/2008 auseinander.
Dabei stellte der EuGH zunächst fest, dass diese Artikel auch auf die Festsetzung der Preise für die Gepäcksbeförderung anwendbar sind und behandelte sodann die Frage, ob der für die Beförderung von Aufgabegepäck zu zahlende Preis ein unvermeidbarer und vorhersehbarer Bestandteil des Preises für den Flugdienst darstellt (und damit unter den Begriff „Endpreis“ fällt) oder ob es sich um fakultative Zusatzkosten für einen Dienst handelt, der den Flugdienst ergänzt.
Unter Berücksichtigung der im Laufe der Jahre geänderten Geschäftspraktiken der Airlines – insbesondere der „Billigairlines“ – kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Kosten für Aufgabegepäck nur um fakultative Zusatzkosten handelt. Die Beförderung von Aufgabegepäck wurde somit nicht als obligatorisch oder unerlässlich für die Beförderung der Fluggäste angesehen. Damit fällt die Beförderung von Aufgabegepäck nicht unter den „Endpreis“ und die Airline hat klar das Recht, im Rahmen ihrer Preisfreiheit eine zusätzliche Gebühr für die Beförderung von Aufgabegepäck zu verlangen. Dieses Recht wurde durch das spanische Gesetz, das (nach der Auslegung des vorlegenden spanischen Gerichts) die Mitnahme von Aufgabegepäck ohne Aufpreis vorschrieb, verletzt. Die Entscheidung des EuGH fiel sohin zugunsten der betroffenen Airline aus.
Nun hat der EuGH in seiner Urteilsbegründung allerdings auch ausgeführt, dass seine Überlegungen zu Aufgabegepäck nicht auf Handgepäck übertragbar sind – nach Ansicht des EuGH ist die Mitnahme von Handgepäck sohin als unverzichtbarer Bestandteil der Beförderung von Fluggästen und daher als Teil des Endpreises anzusehen. Konkret führte der EuGH aus „dass für seine Beförderung kein Zuschlag verlangt werden darf“, sofern sein Gewicht und seine Abmessungen „vernünftigen Anforderungen“ entsprechen und die einschlägigen Sicherheitsbestimmungen erfüllen.
Genau auf diese Ausführungen stützen Verbraucherschutzorganisationen nun ihre Forderung nach einer kostenlosen Mitnahme von Handgepäck.
Unsere Ansicht
Die Argumentation der Verbraucherschutzorganisationen steht unseres Erachtens auf wackeligen Beinen und würde schlussendlich auch nicht unbedingt zu einem kundenfreundlichen Ergebnis führen.
Einerseits hat der EuGH in Rechtssache C‑487/12 selbst ausgeführt, dass nur dann kein Zuschlag für die Beförderung von Handgepäck verlangt werden darf, wenn sein Gewicht und seine Abmessungen „vernünftigen Anforderungen“ entsprechen. Dass von Airlines auch in der billigsten Kategorie erlaubt wird, einen „persönlichen Gegenstand“, also meist eine Tasche bzw. einen Rucksack, der unter den Vordersitz passt, mitzunehmen, wurde weder im Urteil des EuGH noch in der im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens ergangenen Stellungnahme des Generalanwalts behandelt.
In seiner Stellungnahme führt der Generalanwalt im Prinzip zwei Gründe dafür an, dass die Mitnahme von Handgepäck im Ticketpreis inkludiert sein muss: zum einen unterliege das Handgepäck im Unterschied zum Aufgabegepäck der alleinigen Verantwortung des Passagiers und erzeuge bei der Airline keine Kosten für Aufgabe, Ablaufverfolgung und Lagerung und zum anderen gehöre die Möglichkeit, persönliche Gegenstände, die man als sehr wertvoll und absolut unerlässlich ansieht, unter eigener Aufsicht mit sich zu führen, zur Würde des Menschen.
Der erstgenannte Grund kann unseres Erachtens nicht überzeugen, wenn man sich den Umstand vor Augen führt, dass die für Kurzstreckenflüge in Europa am häufigsten eingesetzten Flugzeugtypen, der Airbus A320 und die Boeing 737, je nach Variante und Konfiguration mit etwa 130 bis 200 Sitzplätzen ausgestattet sind, aber nur mit Platz für etwa 90 bis 110 Handgepäckskoffer. Dies führt in der Praxis dazu, dass heutzutage bei zahlreichen Kurzstreckenflügen Passagiere aufgefordert werden müssen, ihre Handgepäckskoffer kostenlos aufzugeben, wodurch diese im Gepäcksraum des Flugzeuges befördert werden. Durch diese Praxis befinden sich im Endeffekt wieder zahlreiche Handgepäckskoffer in der Verantwortung der Airline und es entstehen diverse Kosten (auch wenn die Airline diese in der Regel nicht an den betroffenen Passagier weitergibt).
Der zweitgenannte Grund ist unseres Erachtens schon vor dem Hintergrund nicht belastbar, dass selbst in der billigsten Kategorie die Mitnahme eines persönlichen Gegenstandes erlaubt wird. Es wird wohl mit der „Würde des Menschen“ vereinbar sein, die besonders wertvollen persönlichen Gegenstände auf ein Ausmaß zu beschränken, dass diese in ein derartiges Gepäckstück passen. Weiters wird es für Airlines schon aufgrund der zuvor erwähnten Diskrepanz zwischen den verfügbaren Sitzplätzen und dem Platz für Handgepäckskoffer faktisch schlichtweg nicht möglich sein, jedem Passagier die Mitnahme eines persönlichen Gegenstandes an Bord zu gestatten.
Andererseits ist unseres Erachtens der angestrebte Erfolg – die Verpflichtung, Handgepäck ohne Aufpreis zu befördern bzw. das Verbot, Ticketkategorien anzubieten, die die Mitnahme von Handgepäck nicht umfassen – nicht mit den Zielen der Artikel 22 und 23 der VO 1008/2008 vereinbar. Wie der Generalanwalt in seiner Stellungnahme mehrfach betont, wurde Artikel 23 eingeführt, um die in Artikel 22 normierte Preisfreiheit mit einer Verpflichtung zur Klarheit zu verbinden, damit der Flugpreis vom Nutzer bei einem Vergleich der konkurrierenden Angebote genau beurteilt werden kann. Eine solche Klarheit ist auch durchaus wünschenswert – und im Übrigen auch durch andere Bestimmungen, etwa im Bereich der Allgemeinen Beförderungsbedingungen – abgesichert. Wenn eine Airline potenzielle Passagiere nun aber im Buchungsprozess klar und deutlich darüber informiert, welche verschiedenen Ticketkategorien es gibt und welche Rechte mit welcher Ticketkategorie verbunden sind, ist kein Grund erkennbar, sie derart in ihrer Unternehmensführung einzuschränken.
Abschließend sei noch infrage gestellt, ob das von den Verbraucherschutzorganisationen angestrebte Ergebnis – die verpflichtende kostenlose Mitnahme von Handgepäck – überhaupt verbraucherfreundlich wäre. Es erscheint naheliegend, dass sich die durch eine solche Verpflichtung hauptsächlich betroffenen „Billigairlines“ dazu gezwungen sehen könnten, die günstigste Ticketkategorie schlichtweg zu streichen, anstatt Passagieren nun zu erlauben, auch bei Erwerb eines solchen Tickets Handgepäck mitzunehmen. Die zahlreichen Passagiere, die diese Ticketkategorie derzeit in Anspruch nehmen, weil sie der Ansicht sind, dass ein „persönlicher Gegenstand“ für ihre Reise ausreicht, wären somit gezwungen, höhere Ticketkosten zu bezahlen.
Wenn sich einige von ihnen nun dafür entscheiden, statt oder zusätzlich zu einem persönlichen Gegenstand auch einen Handgepäckskoffer mitzunehmen – da dieser nun ja im Preis inkludiert ist – führt dies überdies zu einem höheren Gewicht des Flugzeuges und dadurch zu mehr Treibstoffverbrauch, was sowohl der Umwelt schadet als auch einen relevanten Kostenfaktor für die Airlines darstellt. Auch die Kosten, die durch den zusätzlichen Aufwand der Airlines in Verbindung mit Handgepäck, das wegen Platzmangels nicht in der Kabine befördert werden kann, entstehen, lassen befürchten, dass die Bemühungen der Verbraucherschutzorganisationen letztlich zu höheren Ticketpreisen für alle Passagiere führen könnten.
Für Fragen im Zusammenhang mit der kostenlosen Mitnahme von Handgepäck steht Ihnen unser erfahrenes Aviation Team gerne zur Verfügung.