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Hidden defect in the design

Konstruktionsfehler des Triebwerks

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied im Fall C-411/23, dass ein auftretender Konstruktionsfehler, über den der Hersteller einige Monate im Voraus informiert hatte, einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art 5 Abs 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 darstellen kann.

Die Entscheidung betrifft einen Flug von Krakau (Polen) nach Chicago (USA). Einige Monate vor Abflug wurde die Fluggesellschaft über einen möglichen Konstruktionsfehler bestimmter Flugzeuge, eines dieser hätte auch für den gegenständlichen Flug eingesetzt werden sollen, informiert. Daher wurden mehrere Einschränkungen für die Nutzung dieser Flugzeuge verhängt.

Vier Tage vor dem geplanten Abflug trat eine Triebwerkstörung auf, welche tatsächlich auf den Konstruktionsfehler zurückgeführt werden konnte. Das Triebwerk wurde zur Wartung geschickt, jedoch war aufgrund eines weltweiten Triebwerkeengpasses kein Ersatztriebwerk vor dem geplanten Abflug verfügbar.

Aus diesem Grund musste der Flug mit einem Ersatzflugzeug durchgeführt werden, was zu einer Verspätung von drei Stunden führte.

Aufgrund dessen war die ausführende Fluggesellschaft der Meinung, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen war und lehnte daher Ausgleichsleistungszahlungen an die Passagiere ab.

Der EuGH stellte fest, dass das Auftreten eines solchen Konstruktionsfehlers des Triebwerks, das für die Durchführung des Fluges vorgesehen war, in den Anwendungsbereich des Art 5 Abs 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 fällt, auch dann, wenn die Fluggesellschaft Monate vor dem geplanten Abflug vom Hersteller informiert wurde. Zudem entschied der EuGH, dass das Bereitstellen eines Ersatzfluges als angemessene Maßnahme gilt, vorausgesetzt, dies ist technisch und wirtschaftlich möglich. Dieser Umstand hängt von den Kapazitäten der Fluggesellschaft ab.

Für Fragen zu Passenger Claims in Österreich steht Ihnen unser erfahrenes Aviation Team gerne zur Verfügung.

Technical Failures

Technischer Defekt bei einem neuen Flugzeugmodell

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in der Rechtssache C-385/23 entschieden, dass ein unerwarteter und noch nie aufgetretener technischer Defekt bei einem neuen Flugzeugmodell einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art 5 Abs 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 darstellen kann.

Im vorliegenden Fall ging es um einen Flug von Helsinki (Finnland) nach Bangkok (Thailand), der mit einem Flugzeug durchgeführt werden sollte, das etwas mehr als fünf Monate zuvor in Betrieb genommen worden war. Beim Betanken des Flugzeugs kurz vor Abflug kam es jedoch zu einem technischen Defekt an der Treibstoffanzeige, der zur Annullierung des Fluges aus Sicherheitsgründen führte. Weder die Flugsicherheitsbehörde noch der Flugzeughersteller hatten vor diesem Vorfall Kenntnis von dem Defekt. Später stellte sich heraus, dass die Ursache für den Ausfall ein versteckter Konstruktionsfehler war, der alle Flugzeuge desselben Typs betraf.

Auf Grundlage dieses Sachverhalts war das ausführende Luftfahrtunternehmen der Ansicht, dass die Annullierung aufgrund außergewöhnlicher Umstände notwendig war und verweigerte daher die Zahlung von Ausgleichsleistungen an die Fluggäste.

Der EuGH entschied, dass ein solcher technischer Defekt bei einem neuen Flugzeugmodell, bei dem der Hersteller dieses Flugzeugs anerkennt, dass der Ausfall durch einen versteckten Konstruktionsfehler verursacht wurde, der alle Flugzeuge desselben Typs betrifft und die Flugsicherheit beeinträchtigt, unter den Begriff der außergewöhnlichen Umstände im Sinne des Art 5 Abs 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 fällt.

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Lack of Airport Staff

Mangel an Flughafenpersonal als außergewöhnlicher Umstand

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in der Rechtssache C-405/23 entschieden, dass der Mangel an Flughafenpersonal einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art 5 Abs 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 darstellen kann.

Im vorliegenden Fall kam es unter anderem deshalb zu einer Verspätung von mehr als drei Stunden, weil sich die Verladung des Gepäcks in das Flugzeug verlangsamt hatte, weil nicht genügend Personal des mit dieser Dienstleistung betrauten Flughafenbetreibers zur Verfügung stand. Die Frage, ob ein solcher Mangel an Flughafenpersonal als außergewöhnlicher Umstand betrachtet werden kann, wurde dem EuGH vom Landgericht Köln in seiner Funktion als Berufungsgericht vorgelegt.

Der EuGH berief sich auf seine frühere Entscheidung C-308/21, in der festgestellt wurde, dass allgemeine Ausfälle des Betankungssystems eines Flughafens nicht als mit dem Betrieb des Flugzeugs, das den verspäteten Flug durchgeführt hat, untrennbar verbunden anzusehen sind. Nach Ansicht des EuGH ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die Störungen bei der Gepäckverladung, die auf einen Mangel an Flughafenpersonal zurückzuführen sind, im Einklang mit der zitierten Rechtsprechung als allgemeine Störungen anzusehen sind. Hinsichtlich des Kriteriums, dass außergewöhnliche Umstände auch außerhalb der Kontrolle des Luftfahrtunternehmens liegen müssen, stellte der EuGH fest, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, zu prüfen, ob das Luftfahrtunternehmen in der Lage war, eine wirksame Kontrolle über den Flughafenbetreiber auszuüben.

Ferner wurde betont, dass außergewöhnliche Umstände allein nicht ausreichen, um Luftfahrtunternehmen von ihrer Verpflichtung zur Zahlung von Ausgleichsleistungen an Fluggäste zu befreien. Die Luftfahrtunternehmen müssen zusätzlich darlegen und beweisen, dass sie alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen haben, die der Situation angemessen sind.

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Russia Sanctions

Russlandsanktionen: Verbot der Wiederausfuhr nach Russland

Seit nunmehr einigen Jahren ist es für Personen, die im Luftfahrtsektor tätig sind, von entscheidender Bedeutung, mit den Russlandsanktionen und den für sie daraus resultierenden Verpflichtungen vertraut zu sein. In dieser dynamischen Materie kann es allerdings schwierig sein, den Überblick zu behalten.

Eine neue Sanktionsbestimmung sollte aber jedenfalls nicht übersehen werden: Artikel 12g der Verordnung 833/2014. Demnach müssen Exporteure ab dem 20. März 2024 beim Verkauf, der Lieferung, der Übertragung oder dem Export von Flugzeugen und Flugzeugtreibstoff in ein Nicht-EU-Land, vertraglich die Wiederausfuhr nach Russland oder für die Verwendung in Russland untersagen. Zusätzlich muss sichergestellt werden, dass die entsprechenden Verträge „angemessene Abhilfemaßnahmen“ im Falle eines Verstoßes gegen diese Nicht-Wiederausfuhr-Klausel enthalten.

Das bedeutet, dass jeder Flugzeugkaufvertrag, sofern er nicht unter eine Ausnahme des Artikel 12g fällt, nun eine Klausel enthalten muss, die die Wiederausfuhr des verkauften Flugzeugs nach Russland oder für die Verwendung in Russland untersagt.

Zusätzlich muss ein Exporteur, wenn er erfährt, dass sein aus einem Drittland stammender Vertragspartner gegen eine solche Nicht-Wiederausfuhr-Klausel verstößt, die zuständige Behörde des Mitgliedstaats informieren, in dem er ansässig oder etabliert ist.

Nicht-Wiederausfuhr-Klauseln sind nicht erforderlich bei Exporten in Partnerländer, die in Anhang VIII der Verordnung 833/2014 aufgeführt sind, und zwar: die USA, Japan, das Vereinigte Königreich, Südkorea, Australien, Kanada, Neuseeland, Norwegen und die Schweiz. Darüber hinaus gilt diese Verpflichtung nicht für die Erfüllung von Verträgen, die vor dem 19. Dezember 2023 abgeschlossen wurden, bis zum 20. Dezember 2024 oder bis zu ihrem Ablaufdatum, je nachdem, was früher eintritt.

Obwohl es Exporteuren frei steht, eine angemessene Formulierung für eine Nicht-Wiederausfuhr-Klausel zu wählen, enthält die neueste Version der FAQs zu Sanktionen, die von der Europäischen Kommission veröffentlicht wird, eine Vorlage, die von Parteien verwenden werden kann.

Für Fragen zu luftfahrtbezogenen Russlandsanktionen in Österreich und der Europäischen Union steht Ihnen unser erfahrenes Aviation Team gerne zur Verfügung.

The legal basis and the transferability of passenger rights

Zur Rechtsnatur und der Übertragbarkeit von Fluggastrechten

Der Europäischen Gerichtshof (EuGH) entschied im Fall C-11/23, dass das Recht auf Ausgleichsleistungen bei Flugannullierungen unmittelbar aus der Verordnung (EG) 261/2004 abgeleitet wird und nicht von etwaigen zwischen Passagieren und Airlines abgeschlossenen Beförderungsverträgen abhängig ist. Somit wird klargestellt, dass Passagiere unabhängig von etwaigen vertraglichen Bedingungen einen Anspruch auf Ausgleichsleistungen haben, sofern ihnen diese nach der Fluggastrechte-Verordnung zustehen.

Des Weiteren stellte der EuGH klar, dass Klauseln in Allgemeinen Beförderungsbedingungen (ABB), die die Abtretung von Fluggastrechten einschränken, als unzulässige Limitierung der Rechte dieser Fluggäste zu betrachten und daher nichtig sind. Der EuGH betonte weiters, dass es zur Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus von Passagieren notwendig ist, deren Freiheit zu entscheiden, wie sie ihre Ansprüche geltend machen möchten, zu wahren. Dies umfasst (unter Beachtung der Bestimmungen des jeweils anwendbaren nationalen Rechts) auch die Abtretung ihrer Rechte an Dritte.

Genauere Informationen zu der Verwendung von ABB in Österreich finden sich in unserem Artikel „Allgemeine Beförderungsbedingungen in Österreich“.

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Urteil zu ABB

Urteil zu den ABB einer ungarischen Airline

Der österreichische Oberste Gerichtshof (OGH) hat kürzlich ein neues Urteil (4 Ob 222/22h) zu den Allgemeinen Beförderungsbedingungen (ABB) einer ungarischen Airline veröffentlicht und damit zahlreiche der darin verwendeten Klauseln als rechtswidrig beurteilt. Dieses Urteil ist das Jüngste einer Vielzahl von Urteilen, die bereits gegen Luftfahrtunternehmen und die von diesen verwendeten ABB geführt wurden.

Das Verfahren wurde als sogenannte „Verbandsklage“ von der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte als nach dem Konsumentenschutzgesetz (KSchG) klageberechtigter Verband eingeleitet und zielte darauf ab, der Airline die Verwendung bestimmter Klauseln in ihren ABB zu untersagen. In seiner über 100 Seiten langen Entscheidung behandelte der OGH zahlreiche Klauseln und liefert so wichtige Anhaltspunkte für sämtliche Airlines, die in Österreich tätig sind.

Da die klageberechtigten Verbände, allen voran der Verein für Konsumenteninformation (VKI) und die Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, jederzeit Verbandsklagen gegen in Österreich tätige Luftfahrtunternehmen erheben können (und dies auch regelmäßig tun), sind Airlines gut beraten, dieses neue Urteil zum Anlass zu nehmen, ihre eigenen ABB zu überprüfen. Genauere Infos zu der Vorgehensweise der zur Verbandsklage berechtigten Verbände, dem System der Überprüfung von ABB in Österreich und den hierbei angewendeten Kriterien finden sich in unserem Artikel „Allgemeine Beförderungsbedingungen in Österreich“.

Zu den Klauseln, deren Verwendung der OGH nunmehr untersagt hat, gehören insbesondere die Folgenden:

  • Haftungsausschluss für zerbrechliches Gepäck
  • Rechtswahlklausel zu Gunsten des ungarischen Rechts
  • Möglichkeit der Umbuchung auf ein alternatives Beförderungsmittel
  • Einschränkung der Rechte nach der Verordnung (EG) 261/2004 („Fluggastrechte-Verordnung“)
  • Einreichung von Entschädigungsansprüchen ausschließlich über die Website der Airline

Unser erfahrenes Aviation Team beantwortet gerne Ihre Fragen zur Verwendung von Allgemeinen Beförderungsbedingungen in Österreich, überprüft Ihre ABB, um das Risiko eines Gerichtsverfahrens zu verringern und übernimmt Ihre Vertretung vor Gericht.

The necessity to suffer a loss of time to receive compensation

Ausgleichsleistungen nur bei tatsächlichem Zeitverlust

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinen neuesten Urteilen in den Fällen C-474/22 und C-54/23 klargestellt, dass Passagiere Ausgleichsleistungen nach der Verordnung (EG) 261/2004 im Falle von Flugverspätungen nur dann erhalten, wenn sie dadurch tatsächlich einen Zeitverlust erleiden. Fluggäste haben somit insbesondere dann keinen Anspruch auf Ausgleichsleistungen bei Flugverspätungen, wenn sie nicht zur Abfertigung erschienen sind.

Nach der Rechtsprechung des EuGH (Rechtssache Sturgeon, C-402/07 und C-432/07) haben Passagiere, deren Flüge mehr als drei Stunden verspätet ankommen, grundsätzlich ebenso ein Recht auf Ausgleichsleistungen wie Fluggäste von annullierten Flügen. Die aktuellen EuGH-Urteile verdeutlichen jedoch, dass es  weiterhin signifikante Unterschiede zwischen annullierten und erheblich verspäteten Flügen gibt.

In beiden Fällen ging es um Flüge von Düsseldorf (Deutschland) nach Palma de Mallorca (Spanien), bei denen die ausführenden Luftfahrtunternehmen bereits vorab erhebliche Verspätungen ankündigten. In der Rechtssache C-474/22 entschied sich der Fluggast nach Benachrichtigung über die voraussichtliche Verspätung, den Flug nicht anzutreten. In der Folge trat er seine Rechte an das Unternehmen Flightright ab, welches daraufhin die betroffene Airline auf Zahlung einer Ausgleichsleistung verklagte. In der Rechtssache C-54/23 entschied sich ein anderer Fluggast dafür, selbst einen alternativen Flug zu buchen, durch den er mit einer Verspätung von weniger als drei Stunden an seinem Ziel ankam.

Der EuGH entschied nun, dass beide Passagiere keinen Anspruch auf Ausgleichsleistungen haben. Er stützte sich dabei auf Artikel 3 der Fluggastrechte-Verordnung, wonach diese Verordnung nur dann anwendbar ist, wenn sich die Fluggäste – außer bei Annullierungen – rechtzeitig zur Abfertigung einfinden. Die Fluggäste argumentierten, dass dies nicht erforderlich sein soll, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen bereits angekündigt hatte, dass sich der Flug um mehr als drei Stunden verspäten wird, da solche erheblichen Verspätungen wie Annullierungen behandelt werden müssten.

Der EuGH folgte dieser Argumentation nicht und führte aus, dass seine Entscheidung in der Rechtssache Sturgeon darauf beruhte, dass Fluggäste, die eine Verspätung von drei Stunden oder mehr erleiden, einen irreversiblen Zeitverlust und daher ähnliche Unannehmlichkeiten wie Fluggäste bei annullierten Flügen erleiden. Nach Ansicht des EuGH dient die Ausgleichsleistung dem Ausgleich für diesen Zeitverlust. Da die Fluggäste in den aktuellen Fällen entweder ihre Flüge nicht antraten oder ihre Verspätung durch alternative Buchungen reduzieren konnten, erlitten sie diesen Zeitverlust eben nicht und haben daher keinen Anspruch auf Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechte-Verordnung.

Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die betroffenen Passagiere ggfs. andere Rechte aus der Verordnung (EG) 261/2004 oder dem jeweils anwendbaren Recht haben können, wie etwa auf Rückerstattung der Ticketkosten der ursprünglichen Flüge oder auf Ersatz der Kosten für die von ihnen gebuchten Alternativflüge.

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Denied Boardings

Jüngste Gerichtspraxis zu Nichtbeförderungen

Am 26. Oktober 2023 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein neues Urteil zur Auslegung der Artikel 4 und 5 der Verordnung (EG) 261/2004 im Zusammenhang mit der Nichtbeförderung verkündet/ getroffen (Rechtssache C-238/22).

In diesem Urteil stellte der EuGH fest, dass ein Luftfahrtunternehmen, das einen Fluggast im Voraus darüber unterrichtet, dass ihm gegen seinen Willen die Nichtbeförderung für einen Flug mit bestätigter Buchung droht, diesem Fluggast Ausgleichszahlungen leisten muss, auch wenn er sich nicht am Flugsteig einfindet.

Im vorliegenden Fall wurde einem Fluggast die Beförderung auf dem Rückflug verweigert, da er den Hinflug nicht angetreten hatte. Dies beruhte auf einer gängigen/verbreitende Praxis, die auf sogenannten „No-Show-Klauseln“ basiert.[1]  Der EuGH interpretierte diese Anwendung der No-Show-Klausel als Nichtbeförderung und missachtete dabei die von der EU-Kommission am 10. Juni 2016 veröffentlichten Auslegungsleitlinien zur Verordnung (EG) 261/2004.

Außerdem entschied der EuGH, dass Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i der Verordnung nicht für Fälle gilt, in denen Fluggästen die Nichtbeförderung droht. Daher muss das Luftfahrtunternehmen den Fluggästen Ausgleichszahlungen (gemäß Art.7) leisten, auch wenn es den Fluggästen mindestens zwei Wochen im Voraus darüber informiert/mitteilt/unterrichtet, dass es ihnen die Nichtbeförderung bevorsteht/ Beförderung verweigert wird.

Am 11. Juli 2023 hatte sich das Landesgericht Korneuburg mit einem Fall (22 R 120/23m) zu befassen, der folgende Sachverhalt zugrunde lag:

Ein Luftfahrtunternehmen sah sich nach der COVID-19-Pandemie mit Security-Personalmangel an seinem Heimatflughafen (HAL) konfrontiert, was zu Schwierigkeiten bei der Bewältigung eines plötzlichen Anstiegs der Passagierzahlen während des Reisebooms nach dem Ende der COVID-bedingten Reisebeschränkungen führte. Als Reaktion darauf beschloss die Fluggesellschaft, mehrere Flüge zu streichen, da es schwierig war, die erforderlichen Sicherheitskontrollen an den Passagieren durchzuführen/abzufertigen.

Die „gestrichenen“ Flüge wurden von der Fluggesellschaft tatsächlich mit den geplanten Zeitfenstern, Flugnummern und Zielorten durchgeführt, allerdings nur mit Fracht – ohne Passagiere an Bord.

Das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht stellte fest, dass es sich in solchen Fällen nicht um eine Annullierung im Sinne von Artikel 5 der Flugastrecht-VO handelt, sondern um Nichtbeförderung nach Artikel 4.

Darüber hinaus betonte das Gericht, dass es im Falle der Nichtbeförderung unerheblich ist, ob die Gründe für die Nichtbeförderung außergewöhnliche Umstände im Sinne von Artikel 5 darstellen können. Nach dem anwendbaren Artikel 4 sind Luftfahrtunternehmen stets verpflichtet, Fluggäste gemäß Artikel 7 unverzüglich zu entschädigen, wenn ihnen die Beförderung gegen ihren Willen verweigert wird.

Gemäß Artikel 2 Buchst. j bedeutet „Nichtbeförderung“ die Verweigerung der Beförderung von Fluggästen auf einem Flug, es sei denn, es liegen triftige Gründe für die Verweigerung der Beförderung vor, wie z. B. Gründe des Gesundheitsschutzes oder der Sicherheit oder unzureichende Reisedokumente. Das Gericht kam zu dem Schluss (unter Berufung auf das EuGH-Urteil C-321/11, 32), dass der Grund für die Nichtbeförderung dem Fluggast zuzurechnen sein muss, dem die Beförderung verweigert wird.

Da der Grund für die Entscheidung des Luftfahrtunternehmens, die Fluggäste auf dem fraglichen Flug nicht zu befördern, in keiner Weise dem Fluggast zuzurechnen war, lagen keine angemessenen Gründe gemäß Art 2 Buchst. j für die Nichtbeförderung vor. Das Landesgericht Korneuburg entschied daher zugunsten des Fluggastes und verurteilte das Luftfahrtunternehmen zur Zahlung einer Ausgleichsleistung an den Fluggast.

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[1]Die Rechtmäßigkeit solcher Klauseln war bereits Gegenstand zahlreicher Gerichtsverfahren. Weitere Einzelheiten über No-Show-Klauseln finden Sie in unserem Artikel hier.

First aid as accident under the Montreal Convention

Erste Hilfe als Unfall nach dem Montrealer Übereinkommen

In dem Urteil C-510/21 vom 6. Juli 2023 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass eine unzureichende medizinische Erstversorgung an Bord eines Flugzeugs nach einem Unfall im Sinne des Montrealer Übereinkommens als Teil des Unfalls anzusehen ist.

Sachverhalt der Rechtssache

In der Rechtssache, die dem EuGH erneut von einem österreichischen Gericht (diesmal: dem Obersten Gerichtshof) vorgelegt wurde, ging es um Austrian Airlines.

Am 18. Dezember 2016 befand sich der Kläger auf einem von Austrian Airlines durchgeführten Flug von Tel Aviv nach Wien. Während des Fluges wurde heißer Kaffee auf den Kläger verschüttet, was zu Verletzungen führte. In der Folge wurde dem Kläger an Bord des Flugzeugs medizinische Erstversorgung geleistet.

Im Jahr 2019, nach Ablauf der in Artikel 35 des geltenden Montrealer Übereinkommens festgelegten Frist, reichte der Kläger in Wien eine Klage gegen Austrian Airlines ein. Der Kläger argumentierte, dass die unzureichende medizinische Erstversorgung nicht als Unfall im Sinne von Artikel 17 des Montrealer Übereinkommens anzusehen sei und sich seine Schadenersatzansprüche daher ausschließlich nach österreichischem Recht richten sollten. Folglich sei die im österreichischen Recht vorgesehene Dreijahresfrist anwendbar, und seine Ansprüche seien nicht verjährt.

Die vom österreichischen Obersten Gerichtshof aufgeworfenen Fragen

(1)  Ist die an einen Unfall im Sinn von Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal anschließende medizinische Erstversorgung an Bord des Luftfahrzeugs, die zu einer von den eigentlichen Unfallfolgen abgrenzbaren weiteren Körperverletzung des Reisenden führt, gemeinsam mit dem auslösenden Ereignis als einheitliches Unfallgeschehen anzusehen?

(2) Wenn Frage 1 verneint wird: Steht Art. 29 des Übereinkommens von Montreal einem Anspruch auf Ersatz des durch die medizinische Erstversorgung verursachten Schadens entgegen, wenn dieser zwar innerhalb der Verjährungsfrist des nationalen Rechts, aber bereits außerhalb der Ausschlussfrist des Art. 35 dieses Übereinkommens geltend gemacht wird?

Rechtliches Ergebnis

Der EuGH stellte fest, dass es nicht immer möglich ist, einen Schaden einem bestimmten Ereignis zuzuschreiben, wenn dieser Schaden das Ergebnis einer Reihe voneinander abhängiger Ereignisse ist. Daher sind aufeinanderfolgende, miteinander verbundene Ereignisse /Ursachen als ein einziger Unfall im Sinne des Übereinkommens von Montreal anzusehen.

Auf der Grundlage dieser Auslegung kam der EuGH zu dem Schluss, dass eine unzureichende erste Hilfe an Bord eines Flugzeugs nach einem Unfall im Sinne des Montrealer Übereinkommens als Teil dieses Unfalls anzusehen ist.

Aufgrund dieser Auslegung war es für den EuGH nicht erforderlich, die zweite Frage zu beantworten. Wir warten immer noch auf ein Urteil, in dem der EuGH eine klare Stellungnahme zum Anwendungsbereich des Ausschließlichkeitsprinzips des Montrealer Übereinkommens abgibt.

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Agency Fees

Die österreichische Judikatur zur Erstattung von Vermittlungsprovisionen

Gemäß Artikel 8 der Verordnung (EG) 261/2004 haben Fluggäste bei Nichtbeförderung, Annullierung und großer Verspätungen das Recht, zwischen der Erstattung des vollen Flugpreises innerhalb von 7 Tagen und der Weiterbeförderung zum Endziel zu wählen. Von großer praktischer Bedeutung ist die Frage, ob die Formulierung „vollständige Erstattung der Flugscheinkosten“ die Verpflichtung der Luftfahrtunternehmen einschließt, etwaige Vermittlungsgebühren zu erstatten, die die Fluggäste während des Buchungsvorgangs entrichten mussten.

In seinem Urteil in der Rechtssache C-601/17 (Harms/Vueling) hat der EuGH klargestellt, dass die Erstattung den Preis des Flugscheins einschließlich der von einer zwischen dem Luftfahrtunternehmen und dem Fluggast vermittelnden Person erhobenen Provision (d. h. einer Vermittlungsgebühr) umfassen sollte, es sei denn, diese Provision wurde ohne Wissen des Luftfahrtunternehmens festgelegt.

Dieses Urteil gab zwar wichtige Hinweise, warf aber auch eine neue Frage auf: Was genau bedeutet „Wissen des Luftfahrtunternehmens„?

Um diese Frage vollständig zu verstehen, ist es wichtig zu wissen, wie Flugtickets verkauft werden. Flugscheine werden in erster Linie entweder direkt über die Website des Luftfahrtunternehmens oder über ein Reisebüro (entweder vor Ort oder online) verkauft. Um den Verkauf von Flugscheinen durch Reisebüros zu erleichtern, erteilt die International Air Transport Association (IATA) IATA-zertifizierten Agenturen die Befugnis, Flugscheine direkt für die Mitglieder der Fluggesellschaft auszustellen.

Traditionell agierten diese Reisebüros als Handelsvertreter für die Fluggesellschaften und erhielten von ihnen Dienstleistungsgebühren. In den letzten 20 Jahren haben jedoch zahlreiche Fluggesellschaften ihre Preismodelle dahingehend geändert, dass sie keine Servicegebühren mehr an Reisebüros zahlen und den Ticketkauf direkt über ihre eigenen Websites fördern. Infolgedessen haben die Reisebüros ihre Geschäftsmodelle angepasst und schlagen nun Gebühren auf die von ihren Kunden, den Fluggästen, gezahlten Ticketpreise auf. Trotzdem behalten die Reisebüros das Recht, Flugtickets direkt auszustellen.

In ihrer Antwort auf die Rechtssache C-601/17 argumentierten die Fluggäste (vertreten durch ihre Anwälte bzw. Beschwerdebüros), dass die Erstattung der Flugscheinkosten aufgrund der besonderen Beziehung zwischen Luftfahrtunternehmen und Reisebüros auch die Vermittlungsgebühren umfassen müsse. Sie machten geltend, dass den Luftfahrtunternehmen bekannt sei, dass Reisebüros typischerweise Gebühren als Teil ihres Geschäftsmodells erheben, und dass das allgemeine Wissen ausreiche, um die Verpflichtung des Luftfahrtunternehmens zur Erstattung der Vermittlungsgebühren zu begründen.

Während es in Deutschland zahlreiche Urteile zu diesem Thema gibt, sind österreichische Urteile, insbesondere des Landesgerichts Korneuburg, selten zu finden. Deshalb freuen wir uns, dass unser Aviation Team kürzlich war und für einen unserer Airline-Kunden zwei positive Entscheidungen des Landesgerichts Korneuburg in diesem Fall erzielt hat.

In diesen Urteilen (22 R 226/22y und 22 R 37/23f) hat das LG Korneuburg (auf unsere Berufungen gegen Entscheidungen des LG Schwechat) festgestellt, dass sich der vom EuGH verwendete Begriff „Wissen“ auf das konkrete Wissen der vom Vermittler verrechneten Vermittlungsgebühr bezieht. Das Gericht betonte, dass die verschiedenen Bestandteile eines Flugscheins, wie z.B. der Preis, vom Luftfahrtunternehmen genehmigt werden müssen, was nur mit spezifischem Wissen geschehen kann. Die möglichen Informationsrechte der Luftfahrtunternehmen aufgrund von IATA-Vereinbarungen oder das Vorhandensein von Anreizvereinbarungen, in denen die Höhe der Vermittlungsgebühr nicht festgelegt ist, ändern nichts an dieser Schlussfolgerung.

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